Mit Das Mädchen aus dem Flugzeug und Paketdienst liegen die ersten zwei Kürzestgeschichten von mir in der Bibliothek. Diese zwei Geschichten sind in einer fünf Minuten Schreibübung entstanden. Danach wurde überarbeitet und fertig ist die Geschichte. Man sieht dabei: nicht nur schnell zu lesen, auch schnell zu schreiben.
In diesem Beitrag geht es um die Merkmale einer Kürzestgeschichte und eine einfache Kategorisierung in vier Grundmuster, die sich als Hilfreich erwiesen hat.
In weiteren Teilen gehe ich auf die Technik ein, wie man eine Kürzestgeschichte schreibt, überarbeitet und gehe auf mögliche Schwierigkeiten ein, die dabei entstehen können. Ein perfekter Einstieg für alle, ob Anfänger oder interessierter Umsteiger.
Doch nun viel Spaß beim Lesen!
Merkmale einer Kürzestgeschichte
Kürzestgeschichten, gerne auch Flash Fiction, Sudden Fiction, Fast Fiction oder Short Short Story genannt, sind Geschichten die üblicherweise zwischen 200 bis 1000 Wörter lang sind. Der Ursprung der Kürzestgeschichten liegt, wie auch bei Kurzgeschichten, im amerikanischen Raum.
Als bekanntestes Beispiel der Flash Fiction wird gerne diese sechs Worte lange Geschichte angebracht:
For sale: baby shoes, never worn.
(Diese wird Ernest Hemingway zugeschrieben.)
Die starke Verdichtung auf sechs Wörter, wird als eines der extremsten Beispiele der Kürzestgeschichte angesehen. Auch wenn dieses Beispiel aufzeigt, wie kurz eine Kürzestgeschichte sein könnte, hat sich in der Regel, die Länge zwischen 200-1000 Wörter als Standard durchgesetzt. (Die Geschichte sollte auf einer Postkarte Platz finden.) Überschreitet die Geschichte die tausend Wort Grenze, spricht man in der Regel von einer Kurzgeschichte.
Die Grundelemente:
Die Grundelemente der Kürzestgeschichte bestehen aus:
- Figuren
- Ausstattung und Stimmung
- Perspektive
- Situation und Handlungsablauf (Plot)
- Stil und Stimme
Figuren
Kürzestgeschichten und längere Geschichten haben Figuren. Ob Menschen, Tiere oder unbelebte Gegenstände (die sich wie Menschen verhalten), ist dies das Element einer Geschichte die meist für Veränderung sorgen.
Figuren die in einer Kürzestgeschichte agieren, durch ihre Sprache auffallen und Handlungen anstoßen, sind anders gestaltet, als sie in längeren Geschichten angelegt sind.
Längere Geschichten bieten Raum zur Entwicklung. Die kurze Form der Kürzestgeschichte erlaubt keine Entwicklung. Wie ein Blitz, der nur für einen Augenblick die Umrisse andeutet, werden die Figuren nur kurz in die Geschichte eingeführt. Man sieht sie in Schlüsselmomenten der Szene, im Höhepunkt der Handlung, wo die Figur bereits so angelegt ist, wie sie nun mal ist.
Die Figuren sind bereits bei der Ausführung ihrer Tätigkeit. Ob sie die Wäsche waschen, ein Auto fährt oder sich über einen steilen Abhang wuchten, sie sind mitten in der Momentaufnahme, die der Autor für seine Geschichte gewählt hat.
Manche Figuren mögen individuelle Charaktere sein, andere stehen symbolisch für eine Lebenseinstellung, ein Glaubenssatz oder einen Geisteszustand. Auch wenn man die Figur nicht als Individuum ansieht, versetzt man den Leser doch in eine bestimmte Situation und mit der Situation kann sich der Leser vergleichen. Und im Vergleich weckt die Figur Sympathie (selbst wenn die Umstände unrealistisch wirken, solange sie in der Geschichte geschlossen wirken). Die Figur wird zum Repräsentanten einer Situation und schlägt damit einen universellen Ton im Leser an.
Ausstattung und Stimmung
Die Ausstattung, Umgebung, der Ort der Handlung wird in einer Kürzestgeschichte genauso einen wichtigen Wert haben, wie in einer längeren Geschichte. Nur kann er bei der Kürze der Geschichte, meist nur angedeutet werden. „Es passierte am Strand…“ oder „Gerade als er die Straße überquerte…“
Die Stimmung wirkt, je kürzer die Geschichte ist, umso stärker auf den Leser. Sie ist das eigentliche Mittel, um die Gefühlslage der Figuren zu zeigen, zu verstehen, wie die handelnden Personen fühlen und das gezeigte interpretiert werden sollte. Die Stimmung kann z. B. damit angedeutet werden, dass die Geschichte in einer dunklen, regenverhangenen Nacht spielt. Oder, dass eine Figur mit dem Kopf in den Händen auf einem Stuhl sitzt. Die Stimmung kann auch direkt aus der Figur kommen, wenn ein kleines Mädchen, voller Vorfreude auf ihr Geburtstagsgeschenk, die Verpackung ungestüm aufreißt.
Perspektive
Die Perspektive einer Geschichte, ist der Blickpunkt in der sie erzählt wird. Was wird aufgezeigt und was bleibt im Dunkeln. Die Perspektive beantwortet zwei Fragen: Wer erzählt die Geschichte? Wie fühlt der Erzähler über das Berichtete?
Der Blickpunt mag persönlich oder unpersönlich vorgeführt werden.
Alle Geschichten, ob lang oder kurz haben eine Perspektive. Tatsächlich schafft die Perspektive erst eine Geschichte. Jemand der frisch verliebt ist, wird seine Liebe in einem andern Licht sehen, als wenn sie kurz vor der Heirat stehen. Dieselbe Figur kann aus den verschiedensten Blickpunkten gesehen werden. Jede dieser Blickpunkte, kann zu einer ganz eigenen Geschichte werden.
Die Geschichte kann in erster Person, in dritter Person, als unbekannter allwissende Person oder etwas spezieller, als zweite Person in Erscheinung treten.
(Die Erzählperspektive wird in einem späteren Beitrag genauer behandelt.)
Situation und Handlungsablauf (Plot)
Der Plot wird in einer längeren Geschichte über Zeit aufgebaut. In Kürzestgeschichten fehlt die Zeit dafür. Wir müssen direkt in die Handlung, in die Szene einsteigen. Wir können längere Zeitabschnitte zusammenfassen, vergangenes oder zukünftiges miteinfliessen lassen, aber in der Regel zählt nur genau dieser Moment. Die eine Situation, die aktuellen Umstände zählen. Kürzestgeschichten passieren in einem Blitz. Der Geschichte fehlt die Zeit irgendwohin zu gehen. Es geschieht bereits, wenn wir es sehen. Die Tradition von Anfang, Mitte und Ende wird hier gebrochen, es zählt nur eins: Der Moment.
Gewöhnlich präsentieren längere Geschichten mehrere Situationen. Die Figuren werden durch mehrere Szenen geschickt. Die Situation bei Kürzestgeschichten ist einfacher, der Autor braucht nur von A nach B zu kommen.
Stil und Stimme
Stil ist das wie ein Autor entscheidet, die Geschichte zu erzählen. Ob kurze Sätze oder lange, ausgefallene Redewendungen oder Alltagssprache, verschachtelte Sätze oder klare Struktur. Stil ist die Stimme des Autors.
Vier verschiedene Arten von Kürzestgeschichten:
Die Küzestgeschichten lassen sich grob in vier Kategorien einteilen:
- Einzelner Zwischenfall
- Geschichten die die Zeit verdichten
- Geschichten die eine Geisteshaltung aufzeigen
- Geschichten die sich der Realität widersetzen
Auch wenn sich manche Geschichten in mehrere Kategorien einstellen lassen, andere in keine der oben genannten, diese vier groben Unterscheidungen haben sich als hilfreich erwiesen.
Einzelner Zwischenfall
Die meisten Kürzestgeschichten konzentrieren sich auf ein Ereignis. Es handelt sich um Entdeckungen, Realisierungen, Höhepunkte einer Handlung und Schlüsselerlebnisse im Leben einer Figur. Sie sind einfach eingefangen beim Leser und passieren in einem kurzen Zeitrahmen.
Im Grundlegenden, ist die Handlung einfacher als bei längeren Geschichten. Auch wenn das Ereignis früher begann, bewegt sich die Handlung nur von Punk A nach Punkt B. Längere Geschichten mögen ebenfalls nur um ein Ereignis kreisen, Kürzestgeschichten sind aber schärfer, direkter und mehr intensiver. Alles was nicht direkt zum Ereignis gehört, fliegt raus. Keine Einleitung und keine Ausklang, wie man es in längeren Geschichten oftmals findet.
Zum Beispiel mag bei einer längeren Gesichte erst einmal die Umgebung ausführlich beschrieben werden, die Stimmung der Figur und wie der Alltag aussehen mag. Bei Kürzestgeschichten kann vieles nur angedeutet oder ausgelassen werden.
Geschichten die die Zeit verdichten
Die Form der Kürzestgeschichten mag näher am Gedicht sein, sein Inhalt ist aber näher am Roman. Eine Kürzestgeschichte kann in einer Seite erzählen, wofür ein Roman hundert Seiten benötigt. In ein oder zwei Seiten, kann man eine Geschichte erzählen, die über mehrere hundert Jahre spielt, ohne dass wir glauben, irgendetwas verpasst zu haben. Wie funktioniert das? Durch Verdichtung. Außergewöhnliche Details repräsentieren Momente, die über den Lauf der Zeit hinausragen.
Nehmen wir eine Geschichte, in der eine Frau wie Sarah, einen Jungen wie Thomas heiratet, der sich dann scheiden lässt, weil er sich in eine Jüngere verliebt hat. Sagen wir, die Geschichte beginnt fünf Jahre früher, wenn sich die Zwei auf einer Party treffen. Was ist außergewöhnlich bei ihrem Treffen? Das sie Thomas abblitzen lässt, weil er ein armer Künster ist. Vier Jahre später ist er ein erfolgreicher Maler. Da die Geschichte sich mehr auf die Beziehung als auf die Kariere liegt, genügt der Blick auf diesen Unterschied, um zu erklären, warum Sarah sich vier Jahre später, auf ein weiteres Date mit Thomas einlässt. Wir brauchen nicht tiefer in die Geschichte über die Hochzeit und die Scheidung einzugehen, weil wir hier schon sehr genau erkannt haben, um was es in dieser Beziehung geht.
Kürzestgeschichten beginnen oft in der Mitte von etwas und bewegen sich schnörkellos auf ihr Ende zu. Sie können ein Leben zusammenfassen, uns in einem Strom von Ereignissen durch ein Leben führen, oder uns in einen Moment aus dem Strom herausreisen und ihn uns in all seiner Tragik, Schönheit, Ironie, Wahrheit als außergewöhnlich Augenblick miterleben lassen.
Eine Kürzestgeschichte endet dann, wenn man die Frage beantwortet hat, mit der man sie begonnen hat. Der Trick besteht darin, zu erkennen, welche Frage man genau zu stellen hat. Dann hat man das Herzstück seiner Geschichte gefunden.
Geschichten die eine Geisteshaltung aufzeigen
Ob Monolog oder eine Erinnerung. Bei einem Monolog mag die Figur sich auf ein einzelnes Ereignis konzentrieren. Aber das Ereignis ist hier zweitrangig. In dieser Art von Gesichte ist die Erzählstimme alles. Man ist mehr von der Art wie die Geschichte erzählt wird gefesselt, als von den Ereignissen selbst. Die Wortwahl des Autors mag einem zusagen: ungewöhnliche Wortwahl, Vergleiche oder Metaphern. Der Blick in die Figur selbst, mag so realistisch, abstoßend oder herzerwärmend sein. Das Interesse kreist um die Art, wie der Erzähler die Welt sieht.
Geschichten die sich der Realität widersetzen
Hier geht es um das Ungewöhnliche, das Gruselige, das Fantastische. Die Geschichten wiedersetzen sich der Regeln unserer Realität, wie wir sie kennen. Der Leser muss ausreichend fasziniert werden von der Geschichte, um gegen die Widersprüche des eigenen Wissens anzukommen. Die Aussagen des Autors mögen unrealistisch sein, werden aber mit realistischen Details angereichert. Innerhalb des Erzählrahmens, muss die Logik erhalten bleiben, auch wenn sie gegen die uns bekannte Realität angeht.
4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Spannend, jetzt weiß ich genauer, wie ich meine Momentaufnahmen einordnen kann (das Bedürfnis unserer Kultur, allem einen Namen, eine Kategorie zu geben, es „aufgeräumt“ zu sehen?). Ich bin sehr gespannt auf die weiteren Themen.
Freut mich ein Thema gefunden zu haben das interessiert.
Ich selbst habe nur wenig im deutschsprachigen Raum zu diesem Thema gefunden. Aus diesem Grund habe ich überhaupt erst diesen Beitrag geschrieben.
Der Mensch hat schon seit Urzeiten unsere schöne komplexe Welt zu deuten versucht. Er hat Muster gesucht, sie in allem möglichen wiedererkannt, um sie für sich nutzbar zu machen.
Die Regel die hier aufgestellt wurden, haben sich in der Praxis bewährt, sollen aber nicht als starr aufgefasst werden, mehr als Empfehlungen. Jede Regel sollte man verstehen, um sie nach Möglichkeit zu umgehen oder zu brechen. So entsteht Fortschritt und es macht auch noch riesig Spaß.
Bald folgt eine Anleitung, wie man selbst in kürzester Zeit (5 Minuten) zu einer Kürzestgeschichte kommt. Ich hoffe dieser kommt gut an und macht Laune selbst zu schreiben.
Ich bin dankbar für jeden Kommentar, da es mir hilft zu verstehen, welche Beiträge interessieren und welche weniger.
Besten Dank!
Dieser Beitrag hat mir geholfen, einige meiner Unsicherheiten zu beseitigen. Ich fühle mich besser informiert.
Danke für deinen Kommentar, Johann. Es freut mich, wenn ich helfen konnte.