Ich lese gerade „Der Spaß an der Sache“ von David Foster Wallace. Es handelt sich hier um eine Sammlung aller veröffentlichten Essays des Autors. Ich möchte hier aber nicht das Buch besprechen, sondern eine einzelne Anmerkung aus dem Buch herausnehmen, um sie mir genauer anzusehen.
Der Titel des Essays lautet: „Die professionelle Kunst über Individualität, Freiheit, Grenzen, Freude, Groteskes und menschliche Vollkommenheit“ So sperrig wie der Titel ist, so kommt vielen auch der Text vor, der daraufhin bei Wallace folgt. Selbst Anmerkungen können gut und gerne vier Seiten lang sein. Wenn man sich aber darauf einlässt, wird man dafür belohnt. Versprochen!
Das ganze Essay handelt von Tennis im Allgemeinen, Michael Joyce im Speziellen und dem einträglichen Geschäft, was Profitennis nun mal ist.
Eines vorweg: Ich bin kein Tennis Fan und ich hatte vor dem Lesen keine Ahnung wer Michael Joyce ist. Aber David Foster Wallace hat mich während des Lesens auf seine eigene, sehr persönliche Art, beidem nähergebracht. Wenn das nicht schon mal eine Leistung für sich ist!
Wallace spricht über ein Interview, welches er mit Michael Joyce geführt hat und wie ihn die Antworten enttäuscht haben. Dann setzt er eine Anmerkung, der wir folgen können oder es bleiben lassen. Wenn man die Anmerkung ließt, trifft man auf den Gesichtsausdruck von Joyce; und was Wallace daraus alles zu lesen glaubt:
Phänomenal ist Joyce Gesichtsausdruck, während er auf den Punkt zu bringen versucht, was Tennis ihm bedeutet. Er liebt das; das steht ihm ins Gesicht geschrieben, wenn er darüber spricht: Normalerweise haben seine Augen einen asiatischen Einschlag, weil er wie viele gebürtige Iren eine leichte Epikanthusfalte hat, aber wenn er über Tennis und seine Karriere spricht, runden sich seine Augen, die Pupillen weiten sich und haben den Ausdruck dieser Liebe.
Zuerst äußerliche Beobachtung. Und weiter:
Das ist nicht die Liebe, die man einem Job entgegenbringen, einer Geliebten oder anderen Intensitätsbrennpunkten, für die die meisten von uns ihre Liebe bekunden würden.
Es ist kein Ehrgeiz, ein sich Messen, kein spielen um Macht. Auch keine triebgesteuerte Empfindung. Keine Lust, die kurz aufflammt und gleich wieder verschwunden ist, wenn der Reiz seinen Höchstpunkt erreicht hat und wieder abzuflachen droht.
Es ist eher die Liebe, die in den Augen uralter Menschen liegt, die seit unvorstellbar langer Zeit glücklich verheiratet sind, oder in den Augen religiöser Menschen, die so in ihrem Glauben aufgehen, dass sie ihr ganzes Leben religiösen Praktiken verschieben haben: Es ist eine Liebe, die sich danach bemisst, was sie gekostet hat, was man für sie aufgegeben hat.
„Eine Liebe, die sich danach bemisst, was sie gekostet hat, was man für sie aufgegeben hat.“ Wir sind von einer Begeisterung des Tennis ausgegangen, über die Liebe zum Sport gegangen und schließlich bei universeller Bedeutung der Liebe angekommen; die auch ein Verlust, ein sich versagen von Anderem bedeutet. Eine Aufopferung, wenn man so will.
Schließlich endet die Anmerkung mit dem Satz:
Ob sie eine „Entscheidung“ bedingt hat, wird irgendwann irrelevant … denn es ist gerade die Kapitulation von Entscheidung und Selbst, die diese Liebe überhaupt erst ermöglicht hat.
Die „Kapitulation von Entscheidung und Selbst“ ermöglicht erst diese Liebe. Da will man widersprechen, da will man sich empören. Doch hat der Autor nicht einen wahren Kern getroffen? Kann man sich denn bewusst für die Liebe entscheiden? Sind die Gefühle, wie irrational sie einem erscheinen, nicht einfach da? Ist man nicht bereit alles zu geben, für das was man liebt – koste es was es wolle? Ist die wahre Liebe nicht mehr ein sich fallen lassen? Sich selbst aufzugeben, für etwas das grösser zu sein scheint, als man selbst. Kostet das einem nicht alles? Gibt man dafür nicht alles andere auf?
Ob es sich um einen Menschen handelt, oder bedeutet, in einem Bereich vorzudringen, der einem alles abverlangt, wie das Profitennis: „Es ist eine Liebe, die sich danach bemisst, was sie gekostet hat, was man für sie aufgegeben hat.“
Denkt man zurück an Joyce, der jeden Tag nach der Schule ins Training ging, Zuhause schnell was zu Essen bekommen hat, um dann bis spät in die Nacht hinein mit seinem Vater weiter trainierte. Wer von uns würde das Tag für Tag durchhalten, ohne Zeit für Freunde oder andere Freizeitaktivitäten zu haben. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Hier bleibt nur übrig, wer wahrlich liebt. Auch wenn die eigentliche Entscheidung nie selbst getroffen wurde, sondern (vielleicht) von einem geltungsbewussten Elternteil, stellvertretend auf den Nachwuchs übertragen wurde. Doch genau in den endlosen Trainingsstunden, hat sich womöglich ein Moment völliger Klarheit herausgebildet. Eine ekstatische Gewissheit für den Moment, den man aus religiösen Erwachungsbeschreibungen kennt, der das Selbst aufzulösen scheint; um zu leben, nur für den perfekten Schlag, für den einen Moment, für die Liebe (zum Sport).
Es ist ein Stück Poesie, versteckt in einer Anmerkung. Ich bin froh sie gelesen zu haben und kann nur anraten, Anmerkungen ernst zu nehmen und nicht zu überspringen. Sie können so viel Weisheit und Liebe enthalten, wie ein ansprechendes Gedicht oder eine gute Geschichte. Wir müssen nur die Augen für das offen halten, was wir nun mal lieben.