Handlung
Ron verliert durch einen tragischen Unfall sein Augenlicht. Als er sich auf den Weg macht, seinen geliebten Blindenhund zurück zu bekommen, trifft er eine folgenschwere Entscheidung…
Kritik
Gleich zu Beginn werden wir mit der Gefangenschaft von Ron konfrontiert. Ron kann es einfach nicht glauben, was ihm widerfahren ist. Hier spürt man die Verzweiflung und Angst von Ron und fragt sich mit ihm, was den dies alles zu bedeuten hat.
Dann werden wir zehn Jahre in die Vergangenheit geschickt. Wir erleben die Familiengeschichte der Heinrichs. Dabei springen wir durch mehrere Perspektivfiguren und erleben Rückblenden in Rückblenden, um dann beim ausschlaggebenden Ereignis von Rons Erblindung zu gelangen. Diese Szene am Steg ist außerordentlich spannend und dramatisch inszeniert. Die Autorin versteht es meisterlich ihre Figuren mit einer schlüssigen Handlung zu versehen, sinnreiches Erleben zu beschreiben und die Dramatik mit inneren Monologen bis ans Äußerste anzureichern. Der Leser hastet von Seite zu Seite und gerät selbst fast außer Atem.
Der allwissende (auktorialer) Erzähler ist vermutlich der Grund, warum einige Leser dieses Buch begeistert feiern werden, andere lieber zu einer anderen Geschichte greifen. Gerade zu Beginn der Handlung muss man schon recht aufpassen, in welcher Zeit und in welchem Kopf man gerade steckt. Hat man aber einmal die Figuren kennengelernt, sich an die Erzählweise gewöhnt und kann der schnell getakteten Handlung folgen, wird man dafür aber auch belohnt.
In einem starken Verständnis für zwischenmenschliche Auseinandersetzungen und einem feinen Gespür für ihre Figuren, beschreibt Evelina Thomas einen Familienepos voller Schicksalsschläge und kleinen Triumphen. Gerade die zarte Liebesgeschichte zwischen dem erblindeten Ron und der aufgeschlossenen Emilie ist eine willkommene Erholung zwischen den düsteren Erlebnissen, die von kaum einem Familienmitglied halt machen.
Als sich später Ron auf die Suche nach seinem geliebten Blindenhund macht, gewinnt die Handlung richtig Fahrt. Hier wird dann auch bald aufgelöst, wie Ron in Gefangenschaft gelangt ist und wie seine Familie darauf reagiert.
Auch wenn ich mich bemüht habe, alle Ereignisse aus Rons Sicht zu beschreiben (ihn zum Protagonisten gemacht habe), ist es gar nicht so einfach zu erkennen, wer Haupt- und wer Nebenfigur ist. Die ganze Familie und später der Ermittler mit seinem Team, stehen gleichberechtigt nebeneinander. Da alle Figuren und (fast) alle Handlungen lückenlos aufgezeigt werden, verliert sich auch ein wenig die Spannung. Wenn wir alles wissen und verstehen, wie soll man dann noch überrascht werden? Trotz dieser Kritik schafft es Evelina Thomas für einiges an Unvorhergesehenem zu sorgen und gegen Ende stellt der Leser nochmals alles in Frage.
Eine psychologisch raffinierte Charakterstudie, ein Familienepos, Krimi, Drama und noch vieles mehr. Ein Lesegenuss, der Figuren realistisch und nahe am Leben aufzeigt, und den Leser auch noch nach der Lektüre, über Gut und Böse philosophieren lässt. Eine herzensgut böse Unterhaltung mit Tiefgang, die man nicht so schnell vergessen wird.
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