Ich habe dieses Buch von vielen Leuten empfohlen bekommen und sah es vor einiger Zeit groß beworben, (auch wegen der Verfilmung) bei einer Vielzahl von Buchbloggern. (Ein Umstand, der mich immer etwas kritisch stimmt.) Ich hatte nicht das Bedürfnis es sofort zu lesen und schob es etwas vor mir her. Doch immer wieder tauchte dieses Buch in Empfehlungen auf. Etwas musste daran sein, an diesem Buch, was die Autorin Angie Thomas hier geschaffen hatte.

Doch um was geht es?

Starr ist 16 und geht auf eine Privatschule, auf der außer ihr kaum schwarze gehen. In dem verarmten Viertel, in dem sie lebt, kann sie so sein, wie sie ist. Auf der Privatschule gibt sie sich so, wie sie annimmt, dass man dies von ihr erwartet.
Als ihr bester Freund Khalil vor ihren Augen, von einem Polizisten erschossen wird, bricht ihre Weltbild zusammen und sie muss sich erst wiederfinden. Wer war ihr Freund Khalil? War er Gangmitglied und hat Drogen verkauft? Gab es eine Waffe oder hat sich der Polizist falsch verhalten? Starr steht unter Druck. Die Polizei, der Drogenboss und ihre Familie haben alle ihre eigenen Vorstellungen davon, wie sie sich zu verhalten hat. Starr war als einzige dabei und kennt die Wahrheit. Doch wie soll sie sich verhalten, wenn sie die Wahrheit selbst in Gefahr bringt? Wird sie sich an die Öffentlichkeit wenden, um das Andenken ihres Freunds wiederherzustellen? Was werden ihre Schulkameraden denken, wenn sie erfahren, dass sie die einzige Zeugin ist, in dem Fall, der für die Unruhen im ganzen Viertel verantwortlich ist? Was für eine Person ist Starr und wie wird sie sich entscheiden?

 

Die Wahrheit wirft einen Schatten über unsere Küche. Leute wie wir werden in solchen Situationen zu Hashtags, aber Gerechtigkeit kriegen sie kaum einmal. Trotzdem glaube ich, dass wir alle auf dieses eine Mal warten, dieses eine Mal, bei dem es gerecht ausgeht. Vielleicht wird es das diesmal.

– Starr auf S. 71/72 –

John Green bezeichnet dieses Buch als Klassiker und dieses Gefühl stellte sich – nach ein paar gelesenen Seiten –, bei mir ebenfalls ein. Doch was bedeutet das? Ist das gut oder schlecht? Und wie entwirft man selbst einen solchen modernen Klassiker?

Wir sollten erst einmal definieren, was ein Klassiker überhaupt ist.

Wie jeder normale Mensch, in der heutigen Zeit, habe ich auf das schnellste Orakel überhaupt gesetzt: Twitter. Hier ein paar Auszüge meiner kleinen Umfrage bei Twitter:

Kurz gefragt: Was macht für euch, ein Buch zu einem Klassiker?

Das interssiert mich auch. Ich habe da selbst keine Kriterien, nach denen ich das beurteilen könnte.
– Laura Jäger

 

Für mich persönlich? Wenn ich weiß, ich werde das Buch mehr als nur einmal lesen. Generell: Ka, hat bestimmt was mit Alter, Bekanntheit und so nem shit zu tun. Oder das Thema oder so. xD
– Das Einhorn

 

Ich denke, die Kriterien, nach denen irgendjemand beurteilen könnte, was ein Klassiker ist, die gibt es nicht. Für mich ist Bridges in Madison County ein Klassiker, für Stephen King ist es Kitsch. Wir lassen uns da einfach nichts reinreden.
– Peter Hakenjos

 

Gute Frage! Meine persönlichen Klassiker sind Bücher, die ich immer wieder gern lese – aber das hat wohl mit der allgemeinen Definition (nach der ja hier auch nicht gefragt war) nichts zu tun. Einzige Überschneidung ist womöglich, dass das Buch nicht neu sein sollte.
– Julia K. Heiligenberg

 

Geschmacksache oder nicht, ich versuche es mit einer eigenen Definition:

Ein Klassiker ist ein Buch, welches weite Bekanntheit erlangt hat, über einen längeren Zeitraum (meist Jahrzehnte), in einer hohen Qualität, über ein allgemein gültiges Thema berichtet und einen hohen Wiedererkennungswert besitzt. Meist besitzt dieses Werk einen nicht zu verkennenden Einfluss, auf die Kultur, aus der sie selbst entsprungen ist (Tradition und Innovation).
(Puh, das war jetzt gar nicht mal so einfach.)

 

Wenden wir das Ganze auf unseren Roman an:

These: Wenn wir wissen, was ein Klassiker ist, welche Stellschrauben wir bedienen müssen, so können wir selbst einen erschaffen oder bei unserer Arbeit darauf hinwirken. Weiter behaupte ich, dass »The Hate U Give« so ein moderner Klassiker ist und werde am Beispiel dieses Romans die oben erwähnte Definition testen.

Bekanntheit
»The Hate U Give« hat zweifellos schon wenige Jahr nach seiner Erscheinung einen enormen Bekanntheitsgrad. Der Roman wurde mir schon mehrmals empfohlen und vor wenigen Monaten lief der Film mit gleichnamigem Titel und Inhalt im Kino. Soweit ich weiß, handelt es sich hier um die erste breite Veröffentlichung von Angie Thomas.

Zeitraum
Da der Roman erst vor wenigen Jahren veröffentlich wurde, können wir den Zeitraum hier nicht überprüfen.

Qualität
Die Qualität des Romans liegt nicht unbedingt in der einfachen, zügellosen, meist schnörkellosen Sprache begründet, sondern in der stark auf autobiografischen Zügen liegenden Wissen von der Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung, das Leben zwischen zwei verschiedenen Milieus und der Dynamik des Drogenhandels und der Bandenbildung.

(Gerade die deutsche Übersetzung hat an einigen Stellen, bei denen die Jugendsprache durchblicken soll und Natürlichkeit angelegt werden soll, einige Redewendungen und Sprachmuster aus dem Amerikanischen übernommen, die meines Wissens nicht in der deutschen Jugendkultur Einlass gefunden haben. Erwähnt soll noch das Glossar am Ende des Buches sein, dass mir sehr geholfen hat, wenn es um Frisuren und popkulturelle Redeweisen geht.)

Thema
Das Thema ist neben dem des Entwicklungsromans, zentral die Frage nach der Gleichberechtigung, Rassismus und dem Druck der Außenwelt auf die moralischen Werte des Individuums. Dieses zeitlose Thema verfolgt uns schon lange und wird vermutlich auf nicht absehbare Zeit Teil unserer Kultur bleiben. Aber genau solche Bücher können einer neu heranwachsenden Generation ein Einfühlungsvermögen vermitteln, damit wir jeden Menschen als gleichberechtigt anerkennen, ob Rasse, Geschlecht oder Orientierung jeglicher Art.

 

„Ich kann (…) nicht ändern, wo ich herkomme oder was ich erlebt habe, also warum sollte ich mich dafür schämen, was mich zu dem macht, was ich bin. Das wäre ja so, als würde ich mich für mich selbst genieren. Nope. Zum Teufel damit.“

 

Wiedererkennungswert
Eines der Schwächen des Romans liegt in seinem Fehlen von starken Wiedererkennungswerten. Die Schuhsammlung von Starr und ihren Bekannten, die als Statussymbol verwendet wird, fällt noch am meisten auf.

Tradition
Angie Thomas lebt in der Traktion weiter, die man schon bei Werken von Charles Dickens findet. Die Minderheit wird ausgebeutet, verachtet und diskriminiert. Die Ungerechtigkeit der schwarzen Bevölkerung wird bis ins extreme aufgezeigt. Starr ist die Perspektivfigur und wir spüren ihre Hin- und Herausgerissenheit zwischen diesen zwei Welten und der Suche nach ihrer Identität. Nicht nur ihre direkte Umgebung setzt sie unter Druck, sondern auch die Medien im Fernsehen oder im Internet.

Innovation
Innovation bring er vor allem für jugendliche Leser, die hier auch als Zielgruppe angesprochen werden. Der Umgang mit dem Erwachsen werden und damit Verantwortung zu übernehmen sind genauso wichtig, wie der Wunsch der Autorin, sich mehr als Ganzes zu verstehen. Weg von Schwarz und Weiß, hin zu einer Gemeinschaft einer einzigen Menschheit. Was sich in manchen Familiendialogen oft mehr nach der Stimme der Autorin anhört, als nach den Figuren in der Geschichte. Aber dies ist ein kleiner Kritikpunkt, wenn man das Große und Ganze nicht aus den Augen verliert (siehe auch Abschnitt zu Thema).

 

Fazit

Schließlich kann niemand von uns mit Sicherheit sagen, ob ein Werk, das heute geschrieben wird, morgen schon ein Klassiker ist. Neben messbaren Größen, die ich hier versucht habe aufzuzeigen, spielen weitere unzählige Faktoren eine Rolle. Sei es die Bewerbung einiger Prominente; die Entscheidung von Schule dieses Werk im Unterricht zu bearbeiten; Zitate in den Medien, wenn ähnliche Fälle zur Realität werden; und das Internet, mit seiner viralen Verbreitungsmöglichkeiten von Memen und so fort…
Was bleibt ist ein Jugendbuch das dank Starr, eine starke Identifikationsfigur besitzt. Den Lesern jedes Alters einen unvergesslichen Einblick in die amerikanische Zeitkultur bietet und viele Leser abholen wird, die genau wie Starr in einem Alter sind, das geprägt ist von Veränderung und der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit.
Was ich hier nicht unerwähnt lassen will, ist die Spannung, die sich bis zum Schluss durch den Roman zieht. Am Ende hat man das Gefühl, den Figuren ganz nah gewesen zu sein und selbst einiges gelernt zu haben, wie die Welt funktioniert und wie wir sie zu verändern haben; damit wir alle besser, gerechter und friedlicher miteinander leben können.

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